Übersetzungskonflikte
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Konstruktionen des "Flüchtlings"

Vortrag von Alma Demszky auf dem 38. Kongress der DGS

29.09.2016

Sektion Politische Soziologie: „Flüchtlinge”: Zwischen Zwangsmobilität und Politiken der Immobilisierung

Die Lebenswirklichkeit von Flüchtlingen zeigt eindrucksvoll, dass „Übersetzungen” neben der klassischen sprachlichen und kulturellen auch in sachlicher Dimension notwendig sind. In der modernen Gesellschaft wird die Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben spezialisierten Systemen überlassen. Auch Flüchtlinge werden meist in speziellen Kontexten wahrgenommen: Aus wirtschaftlicher Perspektive zunächst als Kostenfaktor, später als Arbeitskräfte, aus der Perspektive des Bildungssystems als Auszubildende, aus politischer Sicht als ein Faktor im Gunst um Wählerstimmen etc. Keines der Systeme kann Flüchtlinge in der Gesamtheit ihrer individuellen Lebensumstände wahrnehmen und entsprechend ganzheitliche Antworten auf ihre Situation liefern.

Der Vortrag vergleicht Konstruktionen des Flüchtlings in Ungarn und Deutschland. Der ungarische Premierminister Viktor Orban war der erste in der EU, der das Bild des „bedrohlichen Flüchtlings” und des „Wirtschaftsflüchtlings” konstruierte. Angela Merkel legte hingegen den Grundstein in der Konstruktion des hilfsbedürftigen oder „echten” Flüchtlings, der auf unser christliches Mitgefühl angewiesen ist. Medienanalyse und Interviews in den beiden Ländern zeigen die unterschiedlichen Bilder und Konstruktionen, die über Flüchtlinge in diesen Ländern als Ausgangspunkt und Arbeitshypothese dienen. Beiden Diskursen ist gemein, dass kaum Informationen über die ankommenden Menschen vorhanden sind und dass das Bedürfnis nach einer tiefergehenden Erkundung der Hintergründe kaum vorhanden ist. Während der „Wirtschaftsflüchtling” und der „Migrant” schon alleine sprachlich die Diskurse in Ungarn dominiert, zeichnet sich in Deutschland eine tiefe Spaltung der öffentlichen Diskurse zwischen Political Correctness und kulturellen oder nationalen Ressentiments ab.